Erfüllt leben - Spiegel Wissen 6/2015

Dankbarkeit, wie es sie heute kaum noch gibt.

Sabrina Ernst, 33, Bestatterin aus Niedernhausen:
„Dankbarkeit, wie es sie heute kaum noch gibt.“

„Ich bin mit 22 Jahren eine der jüngsten Bestattermeisterinnen in Deutschland geworden. Am Anfang war es auch bei uns im Familienbetrieb nicht leicht, Vertrauen zu den Hinterbliebenen aufzubauen. Damals galt noch das Klischee, der Bestatter müsse ein alter Mann mit grau meliertem Haar und ernstem Auftreten sein. Sobald die Kunden aber merkten, dass ich genauso viel Ahnung wie meine Eltern hatte, haben sie auch mir vertraut. Damit habe ich bei uns auch den Weg für meine Kollegen geebnet: Inzwischen sind wir ein sehr junges Team, viele sind Mitte zwanzig. Unseren Betrieb gibt es seit 1897, mein Ur-Opa war schon Schreiner und Bestatter. Diese Tradition wäre zu Ende gegangen, wenn ich Biologie oder BWL studiert hätte, so wie ich es nach dem Abitur in Erwägung gezogen hatte.
Aber was wäre dann aus dem Betrieb meiner Eltern geworden? Ich habe keine Geschwister. Irgendwann hätte ein anderer Bestatter unsere Firma übernommen oder sie wäre für immer geschlossen worden. Das wollte ich nicht, weil mir viel an unserem Bestattungsinstitut liegt. Meine Eltern haben mich zu diesem Beruf nie überredet, heute sind sie aber sehr stolz.

Für mich ist die Arbeit des Bestatters etwas Kreatives. Ich kann mich bei vielen Dingen einbringen, da in meiner Tätigkeit Elemente aus ganz verschiedenen Berufen zusammenfließen. Zum einen ist das die Friedhofplanung. Ich muss aber auch im Detail Bescheid wissen: welche Holzarten es zur Fertigung von Särgen gibt oder wie diese von innen ausgestattet werden können. Ich mache Vorschläge für die Gestaltung der Trauerfeier und die Zeitungsanzeigen. Außerdem habe ich Ahnung vom Standesamtwesen und klassischer Buchhaltung.

Gleichzeitig ist es ein sehr emotionaler Beruf. Wenn ich auf eine Familie treffe, die einen Angehörigen verloren hat, führe ich sehr intensive Gespräche. Oft geht es nicht nur um die Vorbereitung zu einer Beerdigung, die Familienangehörigen reden sich viel von der Seele. Dafür braucht man ein gutes Gespür, Kenntnisse in Trauerpsychologie und man sollte verschwiegen sein. Wenn ich Familien einige Zeit begleite und erlebe, wie sie sich irgendwann wieder dem Leben zuwenden, freue ich mich, meinen Teil dazu beigetragen zu haben. Wer in so einer Lebenssituation hilft, bekommt aufrichtige und tiefe Dankbarkeit zurück, wie es sie heute kaum noch gibt.

Erzähle ich Fremden von meinem Beruf, kann es schon mal passieren, dass ich auf einer Party plötzlich im Mittelpunkt stehe und den ganzen Abend über meine Arbeit spreche. Vielen ist gar nicht klar, was ein Bestatter leistet. Zuerst sind die Leute erstaunt, vielleicht auch irritiert, aber ich
versuche ihnen dann immer klar zu machen, das man keine Berührungsängste vor dem Tod haben muss. Er gehört zum Leben dazu.“

"Menschen vertrauen uns das Wichtigste an, das sie haben: ihr Familienmitglied."

Quelle: Spiegel Wissen, 6/2015 Erfüllt leben.
Artikel von Jonas Leppin. Bilder von Katrin Binner.